• "Gottesmänner mit brennendem Herzen für den Alltag der Menschen" – Impulsvortrag am Pfingstfest für die Priester der Diözese Münster

    Von der Thematik her geht es um die Priesterliche Identität der Zukunft.

    „Gottesmänner mit brennendem Interesse für den Alltag der Menschen“ … und die Priester wissen nicht mehr, wer sie sind… „Es gab eine Zeit, da war ein Ritter ein Ritter, ein Bauer ein Bauer und ein Pfarrer ein Pfarrer. Auch wenn er ein unfähiger oder sogar schlechter Pfarrer war, war er dennoch unbestritten für andere und vor sich selbst ein Pfarrer. Inzwischen haben sich die Zeiten grundlegend geändert. Die Ritter sind verschwunden, die Bauern sind dabei, Techniker und Ingenieure zu werden, und die Pfarrer fragen sich wer sie eigentlich sind“ {Stenger, 1988 #4, S. 43}. Dieses Zitat stammt von dem bedeutenden Pastoraltheologen und Pastoralpsychologen Hermann Stenger. Es klingt sehr aktuell. Von der Sache her ist es auch. Das einzige, was beim Hören oder Lesen stutzig machen könnte, ist, dass da „nur“ von Pfarrern und nicht allgemein von Priestern gesprochen wird. Tatsächlich ist das Zitat 40 Jahre alt und stammt aus seinem berühmten Buch: „Eignung für Berufe der Kirche“. Die Frage: Wer bin ich? und: Wozu bin ich da? bedrängt uns Priester heute sehr – aber übrigens nicht nur uns Priester, sondern auch die Laienberufe in der Kirche, auch die Diakone. Die Frage nach der eigenen Identität stellen – und das ist beruhigend – vermehrt die meisten Menschen von heute – je jünger sie sind, um so bedrängender. Die Identitätsfragestellung betrifft uns Priester – gefühlt – vielleicht deswegen so intensiv, weil wir einfach von falschen Vorstellungen ausgegangen sind. Vielleicht haben wir angenommen, dass uns Veränderungen erspart bleiben könnten, weil unser Berufsbild eine so lange Tradition hat. Oder vielleicht deswegen, weil wir bisher zu wenig unterschieden haben zwischen unserer Berufung zum Priester und der sozialen Gestalt, die diese Berufung in der Gesellschaft annimmt. Und die sich auch in einem längeren Leben selbstverständlich wandelt. 1 Sie schreiten dahin von Kraft zu Kraft: Priesterliche Existenz in einer Zeit der Transformation. Liebe Brüder! Dass Sie sich heute hier zur Wallfahrt treffen, ist einer Tatsache geschuldet, die Sie sich nicht gewünscht haben. Sie haben erstmals seit Jahren keine Priesterweihe. Wer seit 30 Jahren nicht den Kopf in den Sand gesteckt hat, konnte das natürlich erwarten und hat sicher damit gerechnet. Ich habe es jedenfalls. Und ich tue es selbstverständlich auch für meine Diözese Paderborn. Früher oder später. Und genau deswegen habe ich als Motto für meinen Wallfahrtsimpuls heute für Sie den Titel vorgeschlagen: „Sie schreiten dahin von Kraft zu Kraft“ !? (Ps 84.8) – Priesterliche Existenz in einer Zeit der Transformation. Ich sehe die Zeit, in der wir leben als eine spannende Zeit. Sie ist eine Zeit, in der nichts bleibt, wie es war, um den Pastoraltheologen Rainer Bucher zu zitieren. Ich persönlich mag diese Zeit. Denn sie steckt voller Möglichkeiten. Sie kann eine Zeit werden, in der wir neu lernen, aus der Kraft des Evangeliums zu leben: aus der Kraft Jesu Christi, aus der Kraft des Heiligen Geistes. Und in der wir lernen, in eine neue priesterliche Solidarität hineinzuwachsen: in eine priesterliche Solidarität mit dem priesterlichen Volk Gottes und in eine priesterliche Solidarität unter uns Priestern. Dazu im folgenden ein paar Denkimpulse und Handlungsimpulse, die uns auf unserem Weg heute und darüber hinaus begleiten und Kraft geben könnten. Folgende Punkte möchte ich ansprechen: • ein Verständnis entwickeln für eine dynamische Identität • ein Bekenntnis zur Chance einer exotischen Lebensform mit hohem kreativem Potential • Identitätsfindung als fortwährenden Berufungsprozess begreifen • priesterliche Identität als dialogisches Geschehen konzipieren zwischen uns selbst, unserem Gott und den Menschen • die Bedeutung der Eucharistie als Ort der Wandlung und der Sendung • einige Orientierungspunkte für ein tragfähiges zukünftiges Amtsverständnis • die wichtigen Kraftquellen der Selbstsorge in der Seelsorge: Gotteserfahrung und Lebenssicherheit • den zentralen Zielpunkt unseres Lebens definieren: den Dienst am Menschen • einen grundsätzlichen Appell formulieren: Wir brauchen ein brennendes Interesse am Alltag der Menschen • und schließlich: Pfingsten als Kraftort für uns ins Licht rücken. Wählen Sie aus, was Sie interessiert. Nehmen Sie das mit auf den Weg, was Sie heute brauchen… 2 … auf der Suche nach Identität Die priesterliche Identität in der westlichen Welt befindet sich gegenwärtig in einem dynamischen Wandel ihrer konkreten kulturellen und kirchlichen Gestalt. Wer Priester ist oder sich mit dem Gedanken trägt, vielleicht Priester zu werden, für den kann die Transformation des Priesterseins ein Grund für Erschrecken oder gar ein Grund für neue Faszination sein. Erschrecken kann man aus vielen Gründen: dass die Priester so wenige werden, dass die Priester ihren angestammten Platz in der Kultur verlieren. Oder dass die Priester so viel Vertrauen verspielt haben. Viele erschrecken auch, dass die Priester ihre Pastoralmacht, auch die Gestaltungsmacht verlieren. Dass die Priester in ihrer zölibatären Lebenskultur so angefragt sind. Und schließlich, dass viele Priester nicht wissen, wie sie die Arbeit bewältigen sollen, usw. Viele von uns stehen ratlos da angesichts des rasanten Wandels der Pastoral, viele andere tragen hart unter den Lasten des Managements der Veränderungen. Und viele jüngere warten auf einen Neuanfang, sobald die alte Generation von Priestern "abgetreten" ist und ihnen Gestaltungsraum lässt. Der Wandel betrifft die Funktion, die Rolle, die Lebenskultur, das alltägliche Selbstverständnis. Was ist die Identität des Priesters in der heutigen Zeit? 3 Exotische Lebensform: „Gottesmänner im Dienst im Dienst der Menschen“ Kein Zweifel: Wer heute Priester ist oder sich mit dem Gedanken trägt, Priester zu werden, entscheidet sich heute für eine "exotische" und risikoreiche Lebensform. Es gibt viele Menschen in der westlichen Gesellschaft, die dieser Lebensform mit Skepsis gegenüberstehen. Das gilt leider sogar für einen Teil der Gläubigen. Es gibt nicht wenige Zeitgenossinnen und Zeitgenossen, die den amtlichen Priester überhaupt für überflüssig halten. Eine solche Position könnte uns ratlos oder sogar fassungslos machen. Auch manche Priester selbst sind gegenüber ihrer eigenen gewählten Lebensform so skeptisch, dass sie diese für andere nicht weiterempfehlen oder wieder wählen würden. Priester-Sein ist also kein „Mainstream"-Lebensentwurf. Aber ist das ein Problem? Oder nicht vielmehr eine große Chance? Ich selber bin fest überzeugt: Wenn wir das Priestersein nicht als Machtposition, sondern als Dienstamt verstehen, sind wir als Priester nicht überholt, sondern haben eine fruchtbare Zukunft. Ich möchte anbieten, dass wir uns als „Gottesmänner im Dienst der Menschen“ verstehen und handeln. In einem solchen Verständnis würden wir zum selbstverständlichen Bestand der Kirche und zum Alltag der Menschen gehören. Infrage steht aus meiner Sicht nicht das "Überhaupt" des Priesters, sondern die konkrete Realisierungsform des Dienstes als Priester. Ich bin überzeugt: Als Gottesmänner im Dienst der Menschen wären wir gesucht und gebraucht. Der Beruf des Priesters ist ein Kreativ-Beruf mit großen Chancen zur Verwirklichung von großen Idealen.   Identitätsfindung als fortwährender Prozess der Berufung Wer sich heute aus humanwissenschaftlicher Perspektive mit Identität beschäftigt, der steht vor einem Abschied von einem überkommenen Denkmodell. Viele gehen davon aus, dass Identität sich zusammensetzt aus einem unwandelbaren Kern plus wandelbaren Zutaten. Dann braucht man sich „nur noch“ auf die Suche nach dem unwandelbaren Kern zu machen – und man wäre auf der sicheren Seite. Aus humanwissenschaftlicher Sicht ist eine solche Unveränderlichkeit je länger je mehr eine Fiktion. Unsere lange Lebensspanne verurteilt Unveränderlichkeit zur Illusion oder zum Aussterben. Die Forschungen der „Identitätswissenschaften“ machen deutlich, dass Identität und Identitätsbildung dynamisch verstanden werden müssen. Identität ist ein Akt individueller und sozialer Gestaltung dessen, was ich sein will – oder in der Sprache des Evangeliums: der ich aus Berufung sein soll. Identitätsbildung als Priester ist also nicht das Hineinwachsen in ein „Gehäuse der Hörigkeit“, sondern ein stets neues Hören auf den Ruf, der an mich je neu in einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort ergeht. Und das bedeutet auch: Arbeit an der eigenen Identität. So wächst auch in der Theologie die Einsicht, dass es bei der Frage nach der Identität weniger um die Frage geht: „Wie schaffe ich einen Identitätskern und wie bewahre ich ihn?“, sondern darum, wie Identitätsentwicklung im Sinne der Identitätsgestaltung gelingen kann. Priestersein kann und darf sich nicht erschöpfen im Rückzug irgendwelche Restbestände von Funktionen oder gar Positionen, die uns niemand streitig machen kann. Und es stellt sich die Frage, ob sie wirklich bewahrenswert wären. Aus meiner Begleitungspraxis weiß ich: Wer sich nicht wandeln kann, verliert den Kontakt zur Realität und zu seiner eigenen Berufung. Er wird zum Risiko für die Zukunft der Kirche und zu einem Zerrbild priesterlicher Identität. Als Priesterbegleiter und in meiner Selbstbeobachtung bin ich mir sicher: Priesterliche Identität ist ein gesicherter Bestand, sondern Prozess des immer neuen Gerufen-Werdens. Christoph Theobald sagt uns, worum es bei Berufung geht: Hören, wer ich sein kann! – immer neu! Das bedeutet - so im dritten Kapitel des Markusevangelium: „Jesus stieg auf einen Berg und rief die zu sich, die er selbst wollte, und sie kamen zu ihm. Und er setzte zwölf ein, damit sie mit ihm seien und damit er sie aussende, zu verkünden und mit Vollmacht Dämonen auszutreiben.“ Der Prozess sieht also so aus: • Sich von Jesus rufen lassen und zu ihm gehen… • Bei ihm sein, sich einsetzen und senden lassen… • Verkünden und heilen… Dazu später mehr. 4 Konkret: Identitätsfindung durch Dialog Es braucht dazu ein wenig theologische Reflexion: Identitätsfindung ist keine In-Besitz-Nahme, sondern stets ein dialogischer Prozess. Dies mit Blick auf unsere Kirche herausgearbeitet zu haben, ist ein Meilenstein des Zweiten Vatikanischen Konzils. Die Amtstheologie des Konzils steht in enger Beziehung zu seiner Ekklesiologie. Die entscheidende Einsicht lautet: Kirche muss sich dialogisch neu verstehen. Nicht durch Rückzug auf sich selbst, sondern in der Hinwendung zur Welt. Nicht Selbstvergewisserung durch Abgrenzung, sondern Selbstfindung durch Öffnung. Die Identitätsfindung der Kirche geschieht daher in einer doppelten Bezogenheit: 1. zu Gott und 2. zum Menschen. So steht das gesamte Handeln der Kirche in der Welt von heute unter dem Motto des Dialogs: es geht um ein Miteinander aller Menschen im Hören auf den Ruf Gottes. Denn der Heilswille Gottes grenzt niemanden aus. Damit ist jeder Leitungsstil hinterfragt, der nicht dialogisch und partizipativ ist. Damit sind ebenfalls alle Strukturen hinterfragt, die autoritär daherkommen. Das bedeutet: Wir müssen uns als Priester zuallerst von unserem gemeinsamen Auftrag mit allen Gläubigen her verstehen: Das besondere Priestertum oder besser das Priestertum des Dienstes richtet sich einerseits in die Kirche hinein, um sie aufzubauen und andererseits nach außen, um sie für ihren Dienst an der Welt zu rüsten, der eben vorrangig durch das gemeinsame Priestertum geschieht; so sind beide „aufeinander ausgerichtet“, wie das Konzil sagt. Mit den Worten Karl Rahners: „Der Amtspriester ist nicht der heilige Vertreter Gottes, der mit himmlischen Vollmachten einem unheiligen Volke von Gott her gegenübertritt, sondern der Träger einer bestimmten notwendigen Funktion in einem von Gott geheiligten Volk. Das allgemeine Priestertum ist nicht eine in metaphorischer Verdünnung aus dem Amtspriestertum abgeleitete Größe, sondern der tragende Grund dieses Amtspriestertums. Weil es heiliges Bundesvolk gibt, weil die Kirche als eine und ganze die geschichtlich-gesellschaftliche Erscheinung des eschatologisch siegreichen und sich als siegreich zur Erscheinung bringenden allgemeinen Heilswillens Gottes zur Welt ist, kann es in ihr als eine bestimmte Funktion an ihr das Amtspriestertum geben.“   5 Eucharistiefeier: Zentrum des Priesterlichen Dienstes Der Dienst des Priestertums an der Kirche kulminiert in der Eucharistiefeier. Hier verschmelzen durch den Dienst der Priester das Priestertum Christi und das Priestertum der Gläubigen. Hier verschmelzen durch den Dienst der Priester das Opfer Christi und das Opfer der Gläubigen. Hier werden die verschiedensten Charismen des Volkes Gottes zusammengeführt, gebündelt und sakramental gefördert und gestärkt. Wichtig muss uns folgendes sein: Der geweihte Priester handelt grundsätzlich und auch in der Eucharistiefeier in seinem Dienstamt ist nicht höherwertig, unmittelbarer zu Gott oder heiliger als die anderen. Vielmehr ist er und bleibt er Glied des Volkes Gottes und somit zunächst und bleibend Träger des gemeinsamen Priestertums. Aufgrund einer besonderen Berufung hat er ein besonderes Sakrament zum Dienst an den anderen empfangen. Wie die anderen Einzelsakramente dient auch das Weihesakrament, dient das kirchliche Amt dem ganzen Volk Gottes beim Vollzug seiner Grundsakramentalität, d. h. seines allumfassenden Werkzeugseins zur Ausrichtung der Welt auf das Reich Gottes. Der spezifische Dienst des hierarchischen Priestertums besteht vor allem darin, der Kirche ihre Herkunft und ihre Abhängigkeit von Christus zu zeigen, die sich in der besonderen Sendung des Amtspriesters durch den Herrn selbst manifestiert. Sodann ist es die bleibende Aufgabe des hierarchischen Priestertums, das gemeinsame Priestertum immer wieder in Übereinstimmung mit dem Priestertum Christi zu bringen, durch den Leitungs-, den Verkündigungs- und den Heiligungsdienst. Diesen Dienst des geweihten Priesters am gemeinsamen Priestertum hat Papst Benedikt XVI. in seiner Predigt zur Eröffnung des Priesterjahres deutlich unterstrichen: „Wie könnte man vergessen, daß wir Priester geweiht worden sind, um in Demut und maßgebend dem gemeinsamen Priestertum der Gläubigen zu dienen?“. 6 Eucharistiefeier: Wandlung und Sendung in das Zentrum stellen. Ite missa est! Timothy Radcliffe, der ehemalige Ordensobere der Dominikaner, hat einmal auf die Frage: Why go to Church? formuliert: To be sent from it! Mit jedem ‚ite missa est‘ sendet nicht der Priester, sondern sendet die Kirche Priester und Gläubige in die Welt. Hier handelt die Kirche als Ganze, denn sie allein ist „in Christus quasi Sakrament“ (LG 1). Wenn wir also als Priester mit den Gläubigen die Eucharistie feiern, feiern wir nicht einen Rückzugsraum, der den Priestern vorbehalten ist. Im Gegenteil: Wir richten uns und die alle Gläubigen aus auf die Sendung der Kirche in die Welt. Und zwar auf eine Welt, die im Wandel begriffen ist und – ganz wichtig – uns in diesen Wandel hineinnimmt. Und was ist Eucharistie anderes als die Feier der Wandlung der Welt – und des Lebens – und unserer selbst? Papst Benedikt sagte dazu auf dem Weltjugendtag in Köln in seiner Predigt: Die Eucharistie ist der Ort der eigentlichen Verwandlung der Welt. Der Ort, von dem alle Verwandlungen ausgehen. Hier wird Gewalt in Liebe umgewandelt. Von dort wird die Kette der Verwandlungen ausgehen, die allmählich die Welt umformt. Alle anderen Veränderungen bleiben oberflächlich und retten nicht. Darum sprechen wir von Erlösung: Das zuinnerst Notwendige ist geschehen, und wir können in diesen Vorgang hineintreten. Und so gilt: Wenn wir als Priester die Eucharistie feiern, bekennen wir, das auch uns in diesen Verwandlungsprozess hineingeben. 7 Orientierungspunkte eines zukünftigen Amtsverständnisses Was heißt das für unsere Amtsverständnis? Dazu zwei dogmatische Orientierungspunkte auf dem Boden des Zweiten Vatikanischen Konzils, die Johanna Rahner kürzlich auf einem Priestertag in der Diözese Hildesheim auf den Punkt gebracht hat : 1. Wir müssen das kirchliche Amt grundsätzlich bezogen denken. Wir sagen: wir müssen es relativ denken: d.h. von der Kirche bzw. den Gemeinden her denken. (Hier sind nicht die Pfarreien gemeint, sondern die Versammlungen von Menschen, die christlich leben wollen!) Wir müssen es sozusagen „funktional“ begreifen: Alle Ämter, auch das Priesteramt hat die Grundausrichtung des Dienstes, also die Funktion, der Kirche bzw. Gemeinde zu dienen. Das ist ein anderer Funktionsbegriff, als er sonst verwandt wird. Es geht nicht um bestimmte Tätigkeiten. Die konkreten Tätigkeiten werden sich wandeln. Wandeln müssen. Wir werden uns – hoffentlich – aus vielen überkommenen Funktionen verabschieden. Wir werden uns neu in Dienst nehmen lassen: in neuen priesterlichen Formen des Dienstes an Gott und den Menschen. 2. Alle Ämter der Kirche sind sakramental zu denken. Wir dürfen das Weihesakrament ist niemals als Besitz missverstehen. Ämter sind auch keine Sache von Über- oder Unterordnung. Wir müssten hier den kirchlichen Jargon kritisch hinterfragen. Das kirchliche Amt ist daher nicht „Vollmacht über“, sondern eine „Beauftragung mit…“. Die Frage nach den Spezifika des priesterlichen Dienstes wird dabei auf absehbare Zeit ein notwendig offenes Diskursfeld bleiben müssen. Wir sollten uns hier nicht festbeissen…   Konkretionen eines künftige Amtsverständnisses Wenn vieles noch offen ist: Was lässt sich aber möglicherweise jetzt schon sagen? Hierzu fünf Punkte: 1. Das „Amt der Zukunft“ wird grundsätzlich im Plural zu denken sein. Nicht mehr an Positionen orientiert, auch nicht an Sozialformen. Es wird vermutlich in Zukunft nicht nur viele unterschiedliche Dienste und Ämter bei den Gläubigen geben. Auch priesterlicher Dienst im engeren Sinne wird sich vermutlich in Zukunft in verschiedenen Arten des Dienstes pluralisieren. 2. Wir dürfen unser Priestersein nicht mehr statisch denken. Alles Statische wird im Alltag schwach und kraftlos. Wir müssen Priestersein dynamisch verstehen. Die Dynamik ergibt sich a) aus den Tätigkeiten, welche die Sendung in die Welt von heute erfordert, b) aus den Nöten und Notwendigkeiten der Menschen vor Ort, c) aus unserer eigenen Persönlichkeit, unseren Lebensentscheidungen und unseren Charismen. 3. Es wird dadurch eine immer größere Vielfalt des priesterlichen Dienstes geben. Karl Rahner schreibt bereits vor fünf Jahrzehnten: Die Kirche hat „hinsichtlich der Gestaltung, Artikulierung und Gliederung ihres ursprünglich einen Amtes eine größere Variationsmöglichkeit, als sie … in der Schultheologie reflektiert wurde. Diese größere Variationsbreite bezieht sich sowohl auf die Möglichkeiten, die Amtsvollmacht in verschiedener Weise zu teilen und zu bündeln, als auch auf die Bestimmung des Trägers solcher Vollmacht … als auch auf die Frage der Sakramentalität oder Nichtsakramentalität einer solchen Amtsübertragung“. 4. Priesterliche Identität darf sich nicht nur sakramententheologisch bestimmen. Das wäre sehr enggeführt. Wir können nicht alle Priester über einen Kamm scheren. Wir können keine Einheitsidentität mehr proklamieren oder gar beschwören. Wir werden dazulernen müssen, wie theologisch vielfältig begründbar priesterlicher Dienst in der Kirche sein kann. 5. Was das Amt in der Kirche sein wird, muss nicht immer und überall in der Katholischen Kirche gleich sein. Papst Franziskus spricht auch mit Blick auf das Amt von Inkulturation. Das gilt auch hinsichtlich der Art und Weise, wie kirchlicher Dienst strukturiert und gelebt wird. Vielleicht braucht es an unterschiedlichen Orten der Erde unterschiedliche Ausformungen. 8 Von Kraft zu Kraft – Säule 1: Erfahrungsgesättigte Spiritualität Natürlich ist eines klar: Priesterlicher Dienst braucht Ressourcen und eine tragfähige Lebenskultur. In den nächsten beiden Schritten meines Impulses möchte ich daher auf die Ressourcen zu sprechen kommen, die uns Priester tragen. Die erste Säule – unsere erste große Kraftquelle – ist eine lebendige, alltägliche Gotteserfahrung. Priesterlicher Dienst lebt von der Erfahrung, in Gott verankert zu sein. Gemeint ist: die Gegenwart Gottes und seine Liebe zu spüren, Kraft im Glauben zu finden, sich Gott nahe zu fühlen, inneren Frieden zu haben und sich von der Schöpfung berühren zu lassen. In der Seelsorgestudie hat sich gezeigt, dass diese Erfahrung vor allem durch das persönliche Gebet gefördert wird. Es ist sinnvoll, hier viel zu investieren und nicht nachzulassen. Die alltägliche Gotteserfahrung hat eine so große Wirkung auf unsere priesterliche Lebensqualität. Wenn man es zuspitzen will: Die Lebendigkeit unserer Spiritualität hängt vermutlich nicht an der Anzahl der Eucharistiefeiern. Da scheint weniger mehr zu sein – vor allem dann, wenn man die Zahl und die Atmosphäre in vielen Eucharistiefeiern als Last empfindet. Sie hängt am alltäglichen Kontakt mit Gott: im Gebet und in der gottgeprägten Erfahrung mit Menschen. 9 Von Kraft zu Kraft – Säule 2: die Sorge um sich Die zweite große Ressource, in die wir investieren sollten für den Aufbau einer stabilen priesterlichen Identität, ist ein tragfähiges menschliches Fundament. Der Identitätsforscher Heiner Keupp sagt: Es braucht die Fähigkeit, im Leben genügend Ressourcen aufzubauen und zu einem belastbaren Fundament zu bündeln. Denn die Gnade baut auf der Natur auf. Hermann Stenger legt Wert darauf, dass zur Seelsorge auch die Selbstsorge gehört. Denn die Berufung zum Menschsein, die Ermächtigung zum Menschsein ist die Berufung, die jeder Mensch zuerst geschenkt bekommt. Die Erwählung zum Christsein und die Sendung in den Dienst ruhen auf diesem Fundament auf. Stenger bringt es so auf den Punkt: "Ein Bewusstsein spezieller Berufung, das die Ermächtigung zum Leben und die Erwählung zum Christ-Sein zu überspringen versucht, bewirkt ein Zerrbild von Berufung und ist mit pastoraler Kompetenz unvereinbar. Seelsorge braucht Selbstsorge: Beides gehört untrennbar zusammen. Wenn aber beides zusammenkommt, dann brauchen wir keine Angst haben, im Burnout zu landen, wenn wir uns im Dienst der Menschen investieren. Im Gegenteil: Leidenschaft für die Menschen führt in die Erfüllung. So möchtet ich uns – auf guten spirituellen und menschlichen Fundamenten gerne auch die Fragen mit auf den Weg mitgeben: Für wen möchtest du da sein? Für wen möchtest du dein Leben investieren? Für wen möchtest du dein Leben hingeben? Je konkreter, realistischer und plastischer die Antworten ausfallen, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass unser Leben als Priester uns erfüllen wird.   10 Diakonische Identität: Mit brennendem Interesse am Alltag der Menschen Damit kommen wir schließlich zu endgültigen Zuschärfung der Tiefendynamik unserer Identität. Wenn ich als Priester gefragt werde, wo ich persönlich die Chance für eine tragfähige Vision priesterlicher Existenz sehe, erscheint mir der Verweis auf Alfred Delp angebracht. Er schrieb kurz vor seinem Tod: „„Es wird kein Mensch an die Botschaft vom Heil und vom Heiland glauben, solange wir uns nicht blutig geschunden haben im Dienst des physisch, psychisch, sozial, wirtschaftlich, sittlich oder sonst wie kranken Menschen [...] Rückkehr in die ‚Diakonie‘ habe ich gesagt. Damit meine ich das Sich-Gesellen zum Menschen in allen seinen Situationen mit der Absicht, sie meistern zu helfen, ohne anschließend irgendwo eine Spalte oder Sparte auszufüllen. Damit meine ich das Nachgehen und Nachwandern auch in die äußersten Verlorenheiten und Verstiegenheiten des Menschen, um bei ihm zu sein, genau und gerade dann, wenn ihn Verlorenheit und Verstiegenheit umgeben.“ Die Menschen werden uns abnehmen, dass wir als Priester „Gottesmänner“ sind, wenn wir uns zu den Menschen begeben und sie wie Jesus fragen: „Was soll ich dir tun“? Wir müssen uns in ihren Alltag begeben und neu „Teil ihres Lebens“ werden. Zum gelingenden Leben findet der Priester im Dienst des Glückes der anderen. Im gegenwärtigen Augenblick der Begegnung mit dem Menschen, der meine Dienste braucht, werde ich frei und entdecke: Mein Leben macht ja wirklich Sinn! Da treten die Probleme der Kirche und der Pastoral in den Hintergrund. In den Hintergrund treten auch auch die unterschiedlichen Akzente in Spiritualität, Theologie, Lebensstil und Herkunft von Priestern. Entscheidend ist die alltägliche Begegnung mit den Menschen, die Priester zu ihren Nächsten machen. Die eigene Berufung entschlüsselt und entwirft sich stets neu in der beständigen Aufmerksamkeit auf die Spuren Gottes im eigenen Leben, im Leben der Anderen und im Leben der Welt. 11 Brennendes Interesse am Alltag der Menschen Daraus erwächst ein grundsätzlicher Appell: Wer Priester ist oder es werden möchte, braucht dafür ein „brennendes Interesse am Alltag der Menschen“. Für Christoph Theobald ist die Konsequenz aus einer solchen Grunddynamik eine kritische Grundsatzfrage: „Verbleibt unsere Pastoral im kirchlichen Raum der Liturgie und im Kreis sakramentaler Handlungen? Lässt sie sich über diesen Ordnungsbereich hinaus in einzelne, auf dieses Zentrum hin bezogene Sektoren aufgliedern? Wo liegt ihr grundlegendes Interesse?“ (Theobald, 2018, S. 191). Seine Antwort ist klar: Es geht um ein absichtsloses (!) Interesse an dem beliebigen (!) Menschen, der mir im jeweiligen Augenblick begegnet: „…unabhängig davon, ob diese Person nun seine Jüngerin oder sein Jünger sein wird oder nicht“ (S. 192). Die Identität der Priester und ihr Lebensstil wird unter dem Kairos der Krise – hoffentlich – wieder anknüpfen am Lebensprogramm Jesu Christi. Der Sekretär der Bischofssynode in Rom Kardinal Mario Grech sagte in einem bemerkenswerten Interview zur Lage der Kirche in der Coronapandemie mit Blick auf die Zukunft: „Wir haben eine neue Ekklesiologie, vielleicht sogar eine neue Theologie, und ein neues Modell des Dienstes entdeckt. Das bedeutet also, dass es an der Zeit ist, die notwendigen Entscheidungen zu treffen, um auf diesem neuen Modell des Dienstes aufzubauen. Es wäre Selbstmord, wenn wir nach der Pandemie zu denselben pastoralen Modellen zurückkehren, die wir bisher praktiziert haben. Wir verwenden enorme Energie darauf, die säkulare Gesellschaft zu bekehren, aber es ist wichtiger, uns selbst zu bekehren, um die pastorale Bekehrung zu erreichen, von der Papst Franziskus oft spricht. (…) Das Brechen des eucharistischen Brotes und des Wortes kann nicht geschehen, ohne das Brot mit denen zu brechen, die keines haben. Das ist Diakonie. Die Armen sind theologisch gesehen das Gesicht Christi. Ohne die Armen verliert man den Kontakt zur Wirklichkeit“ (Grech & Spandaro, 2020). Dies gilt besonders für Priester. 12 Die Faszination eines neuen Anfangs: Die Chance Ich komme so langsam in Richtung Schluss. Die gegenwärtige Situation existenzieller Ratlosigkeit ist eine große Chance. Die Chance der Unterbrechung. Wenn so viel verspielt ist, gibt es automatisch die Chance für einen neuen Anfang. Der Sturz auf den Boden der Tatsachen vermag zum Grund zu werden für eine neue Faszination an der Kraft des Priesterseins. Denn Priester nehmen ja nicht Maßstab an zeitbedingten menschlichen Konstrukten, sondern sie orientieren sich an Jesus Christus selbst, von dem sie sich in die engere Nachfolge gerufen wissen. Der bekannte Theologe und Begleiter Christoph Theobald SJ sieht daher in der Unterbrechung des Gewohnten die Chance für ein neues und echtes Berufungsgeschehen. Gerade angesichts der schwierigen Situation der Kirche in einer säkularen Gegenwart gilt es, von dem zu sprechen, was wirklich zukunftsträchtig ist: Das neue Sich-Einlassen auf den Ruf Gottes in Jesus Christus. Berufung ist kein Besitz, sondern ein dynamischer Prozess. Sie wächst immer neu aus der Kraft der Aufmerksamkeit für die eigene persönliche Gottesbeziehung und den eigenen Auftrag in der Welt von heute. Die Krise priesterlicher Identität und die Faszination der Existenz Jesu im Dienste Gottes und der Menschen können zur Schlüsselsituation werden, in der mir aufgeht: Ich habe nur ein einziges Leben. Es ist mir gegeben und erneut zur Wahl gestellt. Wenn ich jetzt die Chance ergreife, ergreife ich auch die Chance, dass mein Leben sein Versprechen mit der Kraft Gottes halten kann! 13 Pfingsten Wir feiern heute das Pfingstfest. Wir feiern die immerwährende Gegenwart und die stets neue Herkunft des Heiligen Geistes. Wir sollten uns in Erinnerung rufen: 1. Der Geist Gottes steht am Anfang der Schöpfung, schafft alles neu aus dem Nichts, ordnet das Chaos und wird uns als Lebensatem eingehaucht. 2. Der Geist Gottes steht am Anfang der Menschwerdung Jesu: Maria empfängt im Heiligen Geist. Der Geist Gottes kommt bei der Taufe auf Jesus herab. Nach seiner Auferweckung haucht er den Jüngern den Geist ein. 3. Der Geist steht am Anfang der Kirche und befähigt zu furchtlosem Zeugnis. Diese Vergewisserung mag uns auf unseren Wegen begleiten. Auch heute. Ganz komprimiert: Der Geist Gottes stiftet immer wieder einen neuen Anfang. Zum Abschluss möchte ich für uns alle zur Ermutigung gerne aus dem „Testament“ von Papst Johannes XXIII zitieren: „In Gegenwart meiner Mitarbeiter kommt es mir spontan in den Sinn, den Akt des Glaubens zu erneuern. So ziemt es sich für uns Priester, denn zum Wohl der ganzen Welt haben wir es mit den höchsten Dingen zu tun, und deshalb müssen wir uns vom Willen Gottes leiten lassen. Mehr denn je, bestimmt mehr als in den letzten Jahrhunderten, sind wir heute darauf ausgerichtet, dem Menschen als solchem zu dienen, nicht bloß den Katholiken, darauf, in erster Linie und überall die Rechte der menschlichen Person und nicht nur diejenigen der katholischen Kirche zu verteidigen. Die heutige Situation, die Herausforderung der letzten 50 Jahre und ein tieferes Glaubensverständnis haben uns mit neuen Realitäten konfrontiert, wie ich es in meiner Rede zur Konzilseröffnung sagte. Nicht das Evangelium ist es, das sich verändert; nein, wir sind es, die gerade anfangen, es besser zu verstehen. Wer ein recht langes Leben gehabt hat, wer sich am Anfang dieses Jahrhunderts den neuen Aufgaben einer sozialen Tätigkeit gegenübersah, die den ganzen Menschen beansprucht, wer wie ich zwanzig Jahre im Orient und acht in Frankreich verbracht hat und auf diese Weise verschiedene Kulturen miteinander vergleichen konnte, der weiß, dass der Augenblick gekommen ist, die Zeichen der Zeit zu erkennen, die von ihnen gebotenen Möglichkeiten zu ergreifen und in die Zukunft zu blicken. Ich ziehe es vor, in dieser geschichtlichen Stunde geboren zu sein, als in vergangenen Zeiten. Der Zeit, die war, ziehe ich die Zeit vor, die ist. (…) Die Gegenwart ist ja … die einzige Zeit, der wir angehören. Darum ist sie für den, der in ihr lebt, unüberbietbar und zutiefst wertvoll.“